pas de Saint Martin
Mit dem „pas de Saint Martin“ des französischen Künstlers Michel Audiard werden die Orte ausgezeichnet, die in der Lebensbeschreibung des hl. Martin von Sulpicius Severus (link) genannt werden. In Deutschland sind das nur Worms und Trier. Dass Trier in der Vita Martini relativ oft genannt wird, könnte damit zu tun haben, dass sich die Schwiegermutter des Sulpicius wohl längere Zeit in Trier aufgehalten und ihm davon berichtet hat.
Hier sollen nach und nach alle Begebenheiten aus Bischof Martins Leben veröffentlicht werden, die sich laut Sulpicius Severus in unserer Stadt abgespielt haben.
Detail aus dem Liber Florum des Thiofrid und Martinsvita, cod. 1378/103 4° Stadtbibl. Trier
in: Vita Martini , Kap. 17
Zur selben Zeit wurde ein Knecht des Prokonsuls Tetradius (es ist nicht bekannt, wo er Statthalter war (Bihlmeyer) vom Teufel ergriffen und zum Erbarmen gequält. Martinus wurde gebeten, er möge ihm die Hand auflegen. Er gab den Auftrag, den Unglücklichen zu ihm zu führen. Allein der böse Geist war auf keine Weise aus dem Zimmer zu bringen, das der Besessene bewohnte. Gegen alle, die ihm nahen wollten, fletschte er so wütend die Zähne. Da warf sich Tetradius dem Heiligen zu Füßen und drang in ihn, er möge doch ins Haus kommen, wo der Besessene war. Martinus erklärte, er könne das Haus eines Heiden nicht betreten. Tetradius lebte nämlich damals noch im Irrwahne des Heidentums; aber jetzt versprach er, Christ zu werden, wenn sein Knecht vom Teufel befreit würde. Martinus legte nun dem Knecht die Hand auf und trieb den unreinen Geist aus. Als Tetradius das sah, glaubte er an den Herrn Jesus, ließ sich sogleich unter die Katechumenen aufnehmen und wurde bald darnach getauft. Er brachte von da an Martinus, dem er sein Heil verdankte, grenzenlose Verehrung entgegen.
Text: übersetzt von P. Bihlmeyer
Kommentar von Hans-Georg Reuter
Der Bericht des Sulpicius Severus von der Heilung des Knechts des Prokonsuls Tetradius erinnert stark an Jesu Heilung des Dieners des Hauptmanns von Kafarnaum, vgl. Lk 7,1-13. Martin treibt böse Geister aus – wie Jesus. Für Sulpicius Severus ist Martin ein zweiter Christus. Jesus unterstreicht die Worte seiner Verkündigung durch machtvolle Taten, z.B. durch Dämonenaustreibungen. So auch der hl. Martin. Durch solche Heilungen wird der Besessene frei von der Bevormundung durch den/das Böse. In den Evangelien wird öfter davon berichtet, dass Jesus böse Geister austreibt. Ein Dämon besitzt die vollständige Kontrolle über die Gedanken und Handlungen eines Menschen, vgl. Lk 4,33ff und 8,27ff. Weil der unreine Geist anderen Schaden zufügt – oder dem Besessenen selbst – wird Heilung durch die Austreibung gesucht. Beim Ausfahren wird die Bindung zwischen dem Teufel und dem Körper des Besessenen gelöst, (vgl. LThK, Besessenheit).
Abtei St. Martin
Foto: M. Weyand
Die Abtei St. Martin ist ihrer „Gründungslegende“ nach auf dem Hofgut des Tetradius vor den Toren der Stadt Trier entstanden, wo Martin eine Kirche zu Ehren des hl. Kreuzes errichtet haben soll. (Erstmals 1514 belegt und das nur in der Handschrift der Bibliothek der Abtei St. Martin!). Der Bischof von Tours hat in Gallien nachweislich zahlreiche Kirchen gegründet, vornehmlich an den Orten, die den Kelten heilig waren. Aber unmittelbar vor den Mauern der Bischofstadt – das ist eher unwahrscheinlich. Bischof Niketius, ein großer Verehrer des hl. Martin, ließ hier eine Kirche bauen, die von einer Gruppe von Priestern betreut wurde: das könnte der Anfang des Martinskloster sein. Niketius starb um 566 und wurde auf seinen Wunsch hin hier begraben.
Detail aus dem Fresko von Albert Burkart in der Martinuskirche in Leutkirch, Foto: Roland Rasemann
in: Vita Martini, Kap. 16
Die Gnade der Krankenheilung besaß er in so hohem Grad, dass kaum ein Kranker zu ihm kam, ohne sofort die Gesundheit wiederzuerlangen. Dies erhellt auch aus folgendem Beispiel. Zu Trier lag ein Mädchen an Lähmung schwerkrank darnieder. Schon seit langem versagten die Glieder gänzlich ihren Dienst, am ganzen Leibe war das Mädchen gefühllos, die Lebensflamme flackerte nur noch schwach. Traurig umstanden sie die Verwandten und warteten nur auf ihren Tod. Da kam plötzlich die Kunde, Martinus sei in die Stadt gekommen. Sobald der Vater des Mädchens davon hörte, eilte er ganz außer Atem dorthin, um für seine Tochter zu bitten. Martinus war gerade in eine Kirche eingetreten. Laut schluchzend umfasste dort der Greis vor den Augen des Volkes und in Gegenwart vieler anderer Bischöfe die Knie des Heiligen und sprach: "Meine Tochter siecht an einer schrecklichen Krankheit dahin; ja, was noch grausamer ist als der Tod, nur die Seele zeigt noch Leben, der Leib ist schon erstorben. Bitte, gehe zu ihr, segne sie. Ich habe das feste Vertrauen, sie wird durch dich gesund werden". Durch diese Bitte verwirrt und betroffen, suchte Martinus abzuwehren; das gehe über seine Kraft: der Greis beurteile ihn falsch: er sei nicht würdig, dass Gott durch ihn ein Wunder wirke. Weinend beschwor und bat ihn der Vater noch inständiger, er möge die Halbtote besuchen. Schließlich begab sich Martinus, weil auch die umstehenden Bischöfe ihn drängten, zur Wohnung des Mädchens. Eine große Menschenmenge wartete außen voll Spannung auf das, was der Diener Gottes tun werde. Zunächst warf er sich auf den Boden und betete. Das waren in solchen Fällen seine gewöhnlichen Mittel. Dann schaute er die Kranke an und verlangte Öl. Er segnete es und goss die wunderkräftige, geheiligte Flüssigkeit dem Mädchen in den Schlund. Sofort kehrte der Gebrauch der Sprache wieder. Durch die Salbung erhielt ein Glied nach der anderen wieder neuen Lebenskraft; auch die Füße erstarkten, und das Mädchen konnte wieder aufstehen, das ganze Volk war Zeuge davon.
Text: übersetzt von Pius Bihlmeyer
Kommentar von Hans-Georg Reuter
Sulpicius Severus zeichnet den hl. Martin als einen „zweiten Christus“, als einen Bischof, der in der Nachfolge Jesu Wunder wirkte wie Jesus Christus. In Trier heilte er ein todkrankes Mädchen; sein Bericht erinnert an Lk 8, 41ff:
„Da kam ein Mann namens Jaïrus, der Synagogenvorsteher war. Er fiel Jesus zu Füßen und bat ihn, in sein Haus zu kommen. Denn sein einziges Kind, ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, lag im Sterben.“
Der Vater des todkranken Mädchens hat von dem wunderwirkenden Bischof Martin gehört. Er eilt zur Kirche, wo er Martin zu finden hofft. Das kann nur die Bischofskirche, die südliche der Doppelkirchenanlage sein (an der Stelle steht heute die Liebfrauenkirche). Dort fällt er vor Martin auf die Knie – vor den Augen vieler Zeugen - und bittet ihn, zu seiner sterbenden Tochter zu gehen und sie zu segnen. Martin weigert sich, er hält sich nicht für würdig, dass der Herr durch ihn ein Zeichen seiner Macht gebe. Schließlich begibt er sich doch in das Haus und betet und salbt das Mädchen mit Öl, sodass es von seiner Lähmung gesundet sich den Leuten zeigen kann.
Die Wunder, von denen die Evangelisten berichten, sind Zeichen dafür, dass Jesus im Auftrag und in der Kraft Gottes handelt und spricht. So sollen die Wundertaten des hl. Martin bezeugen, dass er – im unablässigen Gebet mit Gott verbunden – ein Gottesmann ist, ein rechter Bischof. Seine Heilungswunder beeindrucken das Volk wie den Kaiser, der Martins Rat schätzt, seine Bitten ( fast immer) erfüllt.